Wie ich mit Kirgisen in den Ring stieg

 

Ich schlug die Augen wieder auf. Erwartungsvoll schaut er mich an:

,,Nu panjatna?“ [Also verstanden?]

,,Ne otschjen. Pakaschite ischjo ras.“ [Nicht so. Zeigen sie es bitte nochmal.]

Leicht genervt verdreht der in die Jahre gekommene Kirgise seine Augen und nimmt daraufhin erneut die Anfangsposition ein.

,,Tak, snatschala levaija ruka, patom vnisu i kanjetz prawaija.“ [Also zuerst die Linke, dann nach unten ausweichen und zum Schluss die Rechte.]

Trotz der Tatsache, dass er unübersehbar ebenfalls ein Fan der kirgisischen Küche war, zeigt er mir flink die von ihm zuvor geschilderte Schlagfolge. Geschmeidig schlägt er zuerst einmal gerade in Richtung meines Kopfes und duckt sich daraufhin nach unten weg, um nur kurz darauf wieder aufzutauchen und einen rechten Schwinger erneut in meine Richtung zu werfen.

,,Sitschas ponjal?“ [Jetzt kapiert?], fragt er ermahnend.

,,Vsjo jasna.“ [Alles Klipp und Klar.], gebe ich in dem Wissen zurück, dass ich gezeigtes Manöver gleich nachmachen müsste und kläglich scheitern würde.

Die umstehenden Kirgisen schauen mitleidig und auch ein wenig ratlos zu: Was sollte ihr Trainer bloß machen, mit dem einzigen Ausländer in ihrem Boxkurs?

 

Die ganze Geschichte fängt im Winter des vergangenen Jahres an. Bis dato hatte ich den Drang mich zu bewegen gestillt, indem ich mich an einem alten sowjetischen Spielplatz direkt vor meiner Haustür körperlich betätigt hatte. Ich war nicht der Einzige, der dieses kostenlose Fitnessstudio wahrnahm. Oft beobachtete ich andere Männer, die aus den umliegenden Plattenbauten kamen und an jenen Klettergerüsten Sport machten. Einer von diesen Männern, von oben bis unten in einen Adidas-Tracksuit gekleidet, schüttelte mir zur Begrüßung sogar die Hand. Dabei verband uns miteinander nichts außer der Tatsache, dass wir auf eben diesem Spielplatz der gleichen Tätigkeit nachgingen.

Als jedoch die Temperaturen sanken und der zentralasiatische Winter über Bischkek hereinbrach, waren die Eisenstangen mit ihrem Rost und der abblätternden Farbe stetig kälter als der Biss in ein Eis am Stiel, was es unmöglich machte an ihnen weiter rum zu turnen. Eine Zeit lang versuchte ich meinen Alltag gänzlich ohne zusätzliche körperliche Betätigung zu meistern. Immerhin hob ich bestimmt zwanzig Mal täglich mittelgroße Jungen und Mädchen auf der Arbeit hin und her. Alles andere als ein Bürojob. Es fehlte also mitnichten an körperlicher Belastung.

Jedoch merkte ich, je länger die Kälte und das Grau des Winters andauerten, wie unausgeglichen und unzufrieden ich mit der Lage war. Als ich eines Abends auf der Toilette eines Restaurants einen auf den Spiegel geklebten Flyer eines Boxkampfs erblickte, fiel mir prompt ein wie verrückt Russen und auch Kirgisen doch nach Kampfsport waren. Nicht umsonst war jedes zweite T-Shirt und jede dritte Jogginghose mit dem UFC-Logo bedruckt. In den kommenden Tagen fielen mir dutzende Kampfschulen und Martial-Arts-Clubs überall in der Stadt verteilt auf, die ich in den Monaten zuvor allesamt übersehen haben musste. Was mich besonders freute: Direkt über meiner Sprachschule, in der ich zwei Mal pro Woche meine Kenntnisse der russischen Sprache verbesserte, befand sich ebenfalls ein Boxclub. Er sah modern und vertrauenswürdig aus, worauf ich in diesem Moment erstaunlich viel Wert legte. Immerhin wollte ich nicht unbewusst an irgendwelchen Underground-Straßenkämpfen teilnehmen, während ein Zimmer weiter zwei Hähne für Wettgeld um ihr Leben kämpfen würden. Wer weiß was in Bischkek alles passiert und nicht an die Öffentlichkeit kommt.

Ich hatte immer ein gewisses Interesse am Boxsport. In meinem Zimmer in Deutschland hängt nicht umsonst ein Muhammad Ali-Poster. In Deutschland hatte ich allerdings nie wirklich die Initiative ergriffen mit dem Sport anzufangen. Und nun, da ich im Land der Verrückten war, wieso nicht auch mal etwas Verrücktes und total Undurchdachtes machen? Denn einen Sport zu erlernen, in einem Land dessen Sprache man nur ,, In Ordnung“ beherrschte, verhieß garantiert nicht einfach zu werden.

Trotz allen gesunden Menschenverstandes betrat ich wenige Tage später die Boxschule, um mich anzumelden. Im Bewusstsein, dass ich für eine Anmeldung viele mir unbekannte Vokabeln brauchte, hatte ich mir zuvor ein wenig von meiner Russischlehrerin aushelfen lassen.

Am Empfangstisch lehnte ein älterer Herr, von Kopf bis Fuß in einen Adidas-Trainingsanzug aus olive-beigem Samt gehüllt.

,,Salam-Aleikum, Baike“, fand ich als Erster meine Sprache wieder.

,,Aleikum“, kam es zurück.

In gewohnt tollpatschiger Weise brachte ich dem Mann, der sich als Trainer entpuppte, näher, dass ich vorhatte in seinem Kurs anzufangen zu trainieren. Am Ende des Gesprächs hielten wir fest: Ich würde Montags und Mittwochs von 19 bis 21 Uhr im Kurs für Erwachsene boxen, nachdem ich zuvor um 18 Uhr ein Stockwerk tiefer mein Russisch aufpoliert hatte. Der ganze Spaß würde mich monatlich 1500 Som (~20€) kosten und war somit immerhin ein wenig billiger als in Deutschland. Vielleicht doch gar nicht so verrückt. Die Scheine musste ich gleich beim nächsten Mal bar auf die Krallen der blondierten Russin zahlen, die offensichtlich für finanzielle Angelegenheiten zuständig war und jedes Mal verlangte, dass man die Schuhe auszog, sobald man auch nur ins Treppenhaus der peinlich sauberen Boxschule eintrat. Ich verkniff mir die Frage, ob Frauen zusätzlich noch wie in einer Moschee das Haar bedecken mussten und streifte mir jedes Mal aufs Neue die affigen Plastikhüllen über die Sohlen meiner Schuhe, um Eintritt in den Boxpalast gewährt zu bekommen.

Meine erste Begegnung mit besagter Frau war die anfängliche Zahlung meines Monatsbeitrags in der darauffolgenden Woche: Geld geben, Handynummer diktieren, Vor- und Nachnamen buchstabieren. Die Nummer war kein Problem, ebenso wenig wie der Vorname: ,,Konstantin“ ist in Ländern mit russischem Einfluss ein durchaus gängiger Name. Beim Nachnamen wurde es brenzlig:

,,Familija?“[Familienname], fragte die Russin.

,,FERTIG“, sagte ich meinen Nachnamen so langsam, deutlich und idiotensicher wie möglich, schon ahnend, dass dieser weder russische noch kirgisische Familienname Probleme bereiten würde.

Fast perplex schaute sie von ihrem Formular auf. In ihren blau-grauen Augen hätten nur zwei Fragezeichen gefehlt.

,,Kak?!“[Wie?]

,,FERTIG. F-E-R-T-I-G“

Die arme Frau hatte vermutlich mit etwas wie ,,Wasilijew“ oder ,,Nikitin“ gerechnet, aber ich wollte nicht Dokumentenfälschung betreiben, nur um ihr etwas Gehirnsport zu ersparen.

Zwei Kirgisen, die mir aus der Boxhalle hinunter in den Büro/Wellness-Bereich gefolgt waren, guckten ebenfalls ungläubig aus der Wäsche, nachdem sie meinen Nachnamen gehört hatten.

,,Ti atkuda?“ [Woher kommst du?], fragte daraufhin der wesentlich größere und massigere der beiden.

,,Is Germanii.“[Aus Deutschland], antwortete ich ohne meinen Blick vom Kugelschreiber der immer noch notierenden Russin abzuwenden.

Während ich die Blicke des ungleichen kirgisischen Duos in meinem Rücken spürte, fragte die Russin weiter:

,,Dien Raschdenija?“ [Geburtstag?]

,,5.07.97“, antwortete ich nach kurzer Überlegung, wozu diese Information wohl gebraucht werde. Gab es hier etwa eine Altersbeschränkung? So ein rotes Schild am Eingang mit einer dicken schwarzen 18 drauf, welches ich übersehen hatte?

Als sie nun hörten, dass dieser Exot auch noch viel jünger war, als sie es vermutet hatten, drehten die nebenstehenden Kirgisen komplett am Rad:

,,Tebje djewet-natzed led? [Du bis 19 Jahre alt?], fragten sie ungläubig nach.

,,Da kanjeschna. Wui kak dumali?“[Ja klar. Was habt ihr denn gedacht?], gab ich lächelnd zurück.

,,Njemtze.“[Diese Deutschen], entfuhr es dem massiveren Kirgisen, dessen Haare kurz geschoren und dessen Haut, trotz des sonnenlosen Winters, braun gebrannt war.

Irgendetwas in meinem Kopf verlangte danach in ,,Kong“ zu taufen. Ich weiß bis heute, vier Monate später, nicht warum. Der Name passte einfach zu diesem Koloss.

Ohne weitere Fragen schob die Russin, die im Gegensatz zu dem kirgisischen Pendant zu Asterix und Obelix eine sehr nüchterne Reaktion auf mein Alter und meine Herkunft an den Tag gelegt hatte, eine Plastikkarte quer über den Tresen. Ich blickte zögerlich auf das scheinbar schon durch mehrere Hände gegangene rot-gelbe Kärtchen.

Nummer 0156.

,,Was ist das hier? ’n Knast?“, dachte ich mir im Stillen.

R-Studio. Kraft und Männlichkeit. So stand es auf der Karte, der Slogan des Studios.

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Insasse 0156

Schon im Weggehen wurde ich noch ermahnt, den Ausweis immer mitzunehmen und vorzuzeigen.

,,Ladna“ [In Ordnung], warf ich, auf dem Treppenabsatz stehend zurück und steckte meine goldene Eintrittskarte in die Welt des Boxens in meine Hosentasche.

Meine allererste Boxstunde gestaltete sich also auf eher organisatorische Art und Weise. Ein weiteres Detail, das ich nicht bedacht hatte, war die Beschaffung des notwendigen Equipments. In meiner Naivität war ich davon ausgegangen, ich könnte mir im Studio Boxhandschuhe leihen, oder zumindest kaufen. Jedoch nichts dergleichen. Auf die Frage, wo ich denn nun Handschuhe beschaffen könne, bekam ich eine sehr wage Anweisung:

,,No Baike, mnje sche nuschni takie pertschatki. Mjesta gdje moschna kupit ne snajetje?“ [Aber Baike, ich brauche doch solche Handschuhe. Kennen sie keinen Ort, an dem ich die kaufen kann?], frage ich den Trainer, der mich mangels Boxhandschuhe für die erste Trainingseinheit vor den Spiegel verbannte, wo ich schattenboxen sollte.

,,Gdje schiwjiosch?“[Wo wohnst du denn?], kam eine Antwort zurück, mit der ich nicht gerechnet hatte. Was spielte das denn für eine Rolle, hinterfragte ich, antwortete jedoch bereitwillig im selben Moment:

,,Ibraimova /Moskovskaya“

Nachdem ich ihm erklärt hatte, wo sich diese Straßenkreuzung genau befindet, nannte mir der Trainer eine völlig andere, unbekannte Straßenkreuzung in Sredni Dschal, einem Stadtteil Bischkeks, unweit meines täglichen Arbeitswegs.

,,Tam jest magasin. Tam rabotaet adin pakistanetz, katori tebje budet pradavat schto tebje nuschen.“ [Dort gibt es ein Geschäft. Da arbeitet ein Pakistani, der dir verkaufen wird, was du brauchst.]

Ich stöhnte: Was war das hier? Eine Schnitzeljagd? Das die ganze Sache so kompliziert würde, hätte ich nicht gedacht.

,,On sche tosche moschet kupit v dordoi schtoli“ [Er kann die doch auch auf dem Dordoi-Bazaar kaufen, oder?], mischte sich ein kleiner Junge, der lustigerweise auch an dem Erwachsenenkurs teilnahm, in die Unterhaltung ein.

Der Dordoi-Bazaar. Das hatte mir noch gefehlt. Der einzige Bazaar, der größer als der Osch-Bazaar ist. Ausschließlich Kleidung und Elektronik. Für Ausländer nur in Begleitung eines Einheimischen zu empfehlen. Ansonsten wird es schwer den Weg hinaus zu finden.

Ich lehnte ab, bedankte mich jedoch bei dem Jungen für den Vorschlag. Bis ich dort meine Boxhandschuhe gefunden hätte, wären die Stangen des Spielplatz bereits wieder aufgetaut. Dann doch lieber nach Pakistan.

Als ich am Tag darauf in den Laden mit dem Namen ,,Sales Point“ trat, wurde mir schlagartig klar, dass es die richtige Entscheidung gewesen war herzukommen. Die Preisschilder zeigten akzeptable Preise, die die 800 Som (~11€) nicht überschritten. Nachdem ich den Besitzer aus einem Whatsapp-Video-Call mit einem Landsmann (sie sprachen Urdu) gerissen hatte, erstand ich ein Paar Puma-Boxhandschuhe. Diese Marke war zwar alles andere als nach dem kirgisischen Geschmack, allerdings war ich auch noch nie ein großer Fan von Adidas gewesen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass es sich in diesem Laden um ausschließlich gefälschte Produkte handelte.

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Man kann den Markennamen nie oft genug aufdrucken.

 

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Fälschen hat hier beinahe Tradition.

Zurück im Studio machte ich gute Fortschritte, so meinte mein Trainer. Ich dreschte auf die Boxsäcke ein, was sie hergaben und fühlte mich auch bald wieder ausgeglichener, der eigentliche Grund warum ich überhaupt dort war. Wenn es allerdings darum ging mit anderen eine Schlagfolge zu üben, hatte ich immer ein wenig Hemmung.

In diesem Kurs hatten alle eine gemeinsame Sprache: Russisch. Egal ob Kirgise, Kasache, Tadschike oder Russe. Alle waren des Russischen mächtig. Also fand der ,,Unterricht“ auf Russisch statt. Auch ich, der einzige ,,echte Ausländer“, der an sich nichts mit der ehemaligen UdSSR zu tun hatte, verstand was der Trainer von uns wollte. Sei es nun am Anfang der Trainingseinheit als er uns, in der Mitte des Saales stehend, zurief welche Aufwärm-Bewegungen wir machen sollten, oder in Einzelgesprächen, wenn er unsere Form verbesserte. Das einzige Problem mit mir war, dass ich alles verstand was er sagte, jedoch ihm gegenüber nicht alles so ausdrücken konnte, wie ich wollte. Mit diesem Problem bin ich auf keinen Fall allein. Viele Menschen, wenn nicht alle, verstehen eine Fremdprache besser, als sie sie sprechen.

Ich wollte also nicht so gerne die Übungen mit den anderen Teilnehmern praktizieren, sondern lieber für mich am Boxsack üben. Somit wäre ich aufgrund meiner Ausdrucksunfähigkeit kein ,,Tormas“ [Bremse], der die anderen aufhielt.

Als mein Trainer dies bemerkte, steckte er mich mit einem Jungen zusammen, dessen Name ,,Elnur“ war. Elnur hatte Verständnis dafür, dass ich die jeweilige Übung nicht gleich beim ersten Mal drauf hatte und ließ mich mal machen. Meistens kam jedoch der Trainer dazwischen und gab mir zu verstehen, dass ich das vollkommen falsch machte. Also wieder an den Boxsack, oder in die Handpolster des Trainers boxen. Mit Elnur redete ich ein wenig über Schulsport in Kirgistan und was ihn dazu bewegte zu boxen. Wirklich komisch war nur, dass er mich immer siezte obwohl er älter war als ich und wir offensichtlich auf einer Wellenlänge waren. Ich mein komm schon, ich bin nicht dein Vorgesetzter.

So verlief ein Großteil der Zeit, die ich in diesem Boxclub zubrachte. Aber in diesen komischerweise ständig kalten Mauern, hat sich auch Vieles zugetragen, was abseits des Boxens erzählenswert wäre:

Als ich beispielsweise nach einem Training ein Lob des Lehrers bekam, der mit den Worten ,,Usche lutsche“ [Schon besser] meinen Fortschritt beschrieb erklärte ich ihm, dass das Ganze hier für mich ein wenig schwerer war, als für seine restlichen Schüler:

,,Wui dalschni snat schto u menja medlenii reaktii. Ja slischaju pa russki patom padumaju pa nemetzki a kanjetz delaju schto nada djelat.“ [Sie müssen wissen, dass ich langsame Reaktionen habe. Ich höre auf Russisch, denke auf Deutsch und mach erst dann, was ich machen soll.], versuchte ich meine schusseligen und ehrlich gesagt auch viel zu lahmen Reaktionen, die ich an den Tag legte, wenn der Trainer mir eine plötzliche Anweisung gab, zu rechtfertigen.

Als der alte Kirgise dann hörte, ich käme aus Deutschland hellten sich seine Augen sofort auf:

,,Ti is Germanii? Ja sche tam schil!“ [Du kommst aus Deutschland? Da hab ich doch auch gelebt], erzählte er stolz.

,,Siriosna? Gdje tam?“ [Ernsthaft? Wo dort?], gab ich ebenso enthusiastisch, wenn auch ungläubig zurück. Das wollte ich jetzt genauer wissen.

,,V Schern“, sagte er erwartungsvoll in meine Richtung.

Schern? Das hatte ich nicht verstanden. Wo war das denn? Ich musste nochmal nachfragen.

,,Gdje? Ischjo ras paschalusta.“ [Wo? Noch mal bitte.], harkte ich nach.

,,Schärwn“, bekam ich noch undeutlicher und gelallter zurück. Oh Gott, die deutsche Sprache musste für ungeübte Zungen echt eine Zumutung sein.

Angestrengt dachte ich nach. Ich ging fest davon aus, dass er sich die Anfangsbuchstaben seiner einstigen Heimat gut behalten hatte und nur den Rest vergessen hatte. Also irgendwas mit ,Sch“. Ziemlich sicher auch Ostdeutschland, denn als er jung war, hat sicher keine Sowjetregierung so leicht Sowjetbürger nach Westdeutschland entsendet. Also vielleicht…

,,SCHWERIN!“, tauchte ich aus meinem Denkprozess auf.

,,DAAAAA!“ [JAAAAA!], erwiderte der Trainer freudig.

,,Ja snaju etat gorad“ [Ich kenne diese Stadt] , sagte ich.

,,Kanjeschna ti snajesch. Ti sche tam schiwjiosch“ [Natürlich kennst du die. Du wohnst doch in Deutschland], kam es mit einer ausladenden Handgeste zurück.

,,Nu takda wui nawerna tosche nemnoschka umeete pa nemetzki“ [Dann können sie wahrscheinlich auch ein wenig Deutsch], machte ich mir Hoffnungen und malte mir schon aus wie es wäre, wenn er mir die Übungen auf Deutsch näher bringen könnte.

,,K saschelenju njet. Mui tam tolka gawarili pa russki.“ [Leider nicht, wir haben dort nur Russisch gesprochen], lies er unbewusst meine Traumvorstellung zerplatzen.

Weiterhin stellte sich heraus, dass er dort sowjetischen Soldaten in einer Kaserne das Boxen beibrachte.

Ein anderes Mal beobachtete ich, wie ein großer, massiger Mann mit Vollbart vor den Aufwärmübungen betete. Während wir anderen unsere Runden liefen und unsere Gliedmaßen lockerten, saß er ruhig und meditativ in Richtung Mekka kniend in einer Ecke und setzte sich abwechselnd auf und wieder ab. Wie in der Moschee, nur ohne Gebetsteppich, und statt Muezzin-Gesängen blecherne Pop-Charts, die aus einer Anlage, die auf einer Fensterbank stand, dröhnten.

Später sprach mich der Mann an und wir redeten ein bisschen. Er selbst sei Tadschike und suche Arbeit. Ob ich welche für ihn hätte. Ich fragte mich ob ich in meinem verschwitzten Tank-Top aussah wie jemand, der eine erfolgreiche Umzugs-Firma oder Ähnliches leitete, und musste leider verneinen. Dafür erfuhr ich von ihm etwas über Tadschiken im Ausland und i n Kirgistan.

Was mich immer gefreut hatte war, dass mein Trainer seit der ersten Sekunde meinen Namen konnte und mich wie alle anderen seit 7 Monaten zu ,,Kostja“ umtaufte. Und niemals scheute er davor zurück ihn zu rufen.

,,Kostja bistrii!“ [Schneller, Kostja!], wenn wir uns warm liefen.

,,Wuische Kostja!“ [Höher, Kostja!], wenn wir Hampelmänner schlugen.

“Kostja idi sjuda“ [Kostja, komm her!], wenn ich mich mal wieder in Richtung Boxsack absetzte.

Als es wieder wärmer wurde, beschloss ich die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. Das alles fraß zu viel Zeit. Zeit, in der ich schlafen musste. Ich war an den Tagen nach dem Training immer hundemüde und brachte es kaum auf die Reihe am Morgen des nächsten Tag richtig auf russisch zu grüßen. Alles in allem waren es tolle Erfahrungen und Gespräche, andere Gesichter und Geschichten, die ich dort erleben durfte.

 

Als ich letztens nach der Arbeit zur Sprachschule trottete, die gleißende Sonne in meinem Nacken brennend, warf ich einen Blick in die Fenster des Boxstudios. Dort oben stand der Junge, der mir damals geraten hatte auf den Dordoi-Bazaar zu gehen, um meine Handschuhe zu kaufen.

 

Er winkte mir zu.

 

Probieren geht über studieren.

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,,Hat mir ein Freund geschenkt. Aus Deutschland.“ Wissen sie denn was drauf steht? ,,Nein“

 

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Die heiligen Hallen des Boxsports

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Ausblick auf den Stadtteil ,,Dschal“

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Der Trainer. Viel zu schnell um von einer gewöhnlichen Kamera erfasst werden zu können.

 

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Mit einem Nokia-Handy aus dem letzten Jahrhundert wird die Zeit gestoppt.

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Ich weiß bis heute nicht wie der Mann heißt. Für mich wird er immer ,,Der Baike“ bleiben.

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2 Gedanken zu “Wie ich mit Kirgisen in den Ring stieg

  1. привет:)
    Ich bin zufälligerweise auf deinen Blog gestossen und finde es seehr spannend und einige Momente sind mir ein déjà vu z.B. die Schreibschrift:D
    Diesen Sommer fliege ich auch nach Kirgistan, um dort mein Russisch zu verbessern.:)

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